Mittwoch, 12. September 2007

.de/sign #1: Visions of Water oder doch eher Augenwischerei



Folgend eine kleine Episode über einen PR-Event der Firmen Grohe und Fraunhofer Institut in Stuttgart 2005:


“Tauchen Sie ein in eine mögliche Welt von morgen” steht auf der Einladung geschrieben. Ein führender deutscher Armaturenhersteller und Fraunhofer laden ein und werden Antworten liefern zu Fragen rund um die Zukunft der Sanitärbranche. In absatzschwachen Zeiten konfrontiert man sich offenbar lieber mit den Herausforderungen im Jahre 2020 als mit bestehenden Problemen wie Kostendruck, kostenaufwendige Entwicklung an den Bedürfnissen der Kunden vorbei, langweilige Produkte und der Tatsache, dass gerade in den wichtigsten Absatzmärkten USA und China (schon heute, aber erst recht 2020) Grohe quasi keine Rolle spielt. Fraunhofer verspricht das “vollumgebende Virtual Reality Erlebnis.” Müssen Sie auch! Damit jemand kommt zu diesem Event, kennt man die Büros und Konferenzräume schließlich als sprödes Ambiente, vergleichbar mit dem Physiksaal ländlicher Gymnasien.

Ankunft 14 h. Das abgesperrte Gelände vermittelt so etwas wie MIT light, trotzdem kommen wir durch einen geöffneten Hintereingang in das Veranstaltungscenter. 35 Grad Celsius. Zwei Stunden in einem unklimatisierten Raum, gemeinsam mit einer Auswahl der wichtigsten Kunden und Partner der Häuser Grohe und Fraunhofer – Gespräche über das nasse Element.
In der ersten halben Stunde sind die Peterstaler 0.2 Literflaschen Mineralwasser auf den Tischen der einzige Bezug zum Thema. Die Einleitung zu dieser gemeinsamen Aktivität zwischen den Badexperten und den Forschern wird zu einem Bombardement der gegenseitigen Huldigungen. Wie sehr man doch eher als Team gearbeitet habe und weniger im klassischen Kunde-Auftraggeber Szenario. Der Typ neben mir, ein sympathischer Mittvierziger mit gutem Mutterwitz und fränkischer Sprachfärbung – einige kleine Spaßvogeleien begleiten unsere Kurzvorstellung - schickt sich gerade an, ein Apfelsaftfläschchen zu öffnen, da der Sponsor Peterstaler offenbar den Durst der Teilnehmer (nur Männer) unterschätzt hat. Erst später beim lauschigen Snack gibt es zwei Quotenfrauen, die Getränke reichen und wahrscheinlich an der aka Stuttgart studieren.

Dann geht es Schlag auf Schlag! Jetzt geht’s um Visionen, ums Ganze, ums Eingemachte. Lackschuh oder barfuss. Um „Dinge, die uns heute noch unvorstellbar erscheinen und fast eine neue Welt darstellen.“ so der nächste Vortragende, der extra(!) aus Dortmund(!!) eingeflogen wurde. Denkste: Eine bizarre Welt werden wir sehen, und so weit weg scheint sie nicht zu sein. Die Szenarien gibt es schon heute. Aber vielleicht werden eben die “Modernen Nomaden” sowie die “Puristischen Asketen” in einigen Jahren wirklich so leben wie Drogendealer bereits heute in Miami, Acapulco oder Calw.

Eines scheint sich in den kommenden 15 Jahren nicht zu ändern: dass viel Geld nicht automatisch bedeutet, über einen guten Geschmack zu verfügen. Etwas unerwartet hingegen ist die Tatsache, dass – als wir später in den VR Cave durch die Wohnung des “Asketen” fliegen und mein Kollege cybersick wird – selbst der Asket ausschließlich Marmorboden benutzen wird beim Hausbau (selbst in der Garage).

Beim Publikum erzeugt die Askese keine Extase, da beim zweiten Szenario “Moderne Nomaden” der Server abschmiert und die teilnehmende Gruppe den Cave verlassen muss. Die albernen 3D Brillen, die wir alle tragen, wären ein idealer Aufhänger, um mit den zwei Studentinnen ins Gespräch zu kommen (“Neue Brille? Kaum erkannt.”). Doch befinden wir uns bereits im Gespräch mit einem Hardseller aus der Installationsbranche, den es nicht zu interessieren scheint, dass wir als Designer eigentlich nur gute Miene zum bösen Spiel machen, um ebenfalls mit Grohe in eine Beziehung zu treten, die mehr ist als das „klassische Kunde-Auftraggeber Verhältnis”. Kurz ein Nuss-Eis aus dem Hause Schöller – ein weiterer Sponsor der Veranstaltung – und schon geht’s weiter mit den “Reichen Rentnern” und deren Leben rund um Architektur, Bad und Wellness. Selbst die - im Jahre 2020 sehr ökologisch ausgerichtet – werden wie alle anderen Grohe Zielgruppen auch in Glas und Stahl wohnen. Gerade im Zusammenhang von Energie- und Wassersparen könnte man dies Hinterfragen, ob der nicht gerade energie-kompetenten Charakteristik dieser Baustoffe.

Nicht nur der VR Cave mit seinen zwar technisch beeindruckenden aber äußerst unscharfen bewegt-wahrgenommenen Bildern (kennen Sie die Weichzeichner aus den französischen Sexheftchen der 80er Jahre?), zeigen wenig bis nichts über ästhetische Trends oder wirklich zukunftsträchtige Innovation in der Jahrtausende alten Badkultur. Und leben nicht gerade Armaturen von Material, exakter Verarbeitung und Liebe zum Detail? Alles bewegt sich auf der äußerst banalen Ebene der Integration von technischen Knowhow um das Wohl im Bad. Sicherheitskameras und eine neue Form des Internet, bei beidem fungiert der Bad-Spiegel als digitale Kommunikationsplattform. Potz Blitz! Keinerlei Ansätze auf emotionaler oder kultur-relevanter Ebene. Als einer der Visionäre bedächtig aber selbstherrlich erwähnt, man könne sich zukünftig vorstellen, dass Badarmaturen von großen Energieunternehmen co-gebranded werden könnten, ja, sogar dass Yellow Strom gelbes Wasser aus dem Wasserhahn fließen lassen könnte, geht ein Raunen durch die Reihen. Das steigert zwar weder Margen noch Stückzahl. Schon gar nicht aber das Wohl der Anwender oder das Ansehen von Grohe als Innovationsführer. Ach ja – das minimalistische Design von Grohe kommt an, das zeigen Akzeptanztests eindeutig. In einem Nebensatz nuschelt der Vorträger “außer in den USA.” Und von China spricht gar keiner, es ist ja erst Juni 2005, die Sonne brennt und die zwei Studentinnen haben eine neue Kiste Peterstaler Mineralwasser organisiert. Das macht sie zu den eigentlichen Stars der Veranstaltung.

Willi Wüterich im Juni 2005

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